Samstag, 25. August 2012

Lateinamerika als Präsentationsgesellschaft

Ein Mensch wird in Lateinamerika geboren und bekommt möglicherweise gleich zu Beginn ein paar Status-symbole mit auf die Welt. Diese verleihen ihm gute Ausgangsmöglichkeiten, im anderen Fall prophezeit ihr Feh-len ein hartes Leben (einen Kampf). Dieses Symbol ist die Hautfarbe und die Schicht, in die er hineingeboren wird. Wird es ein weißes Kind, erhält es von Anfang an eine andere Erziehung, in der ihm, kurz gesagt, einge-trichtert wird, dass es viel wert ist (auf Grund der Hautfarbe) und v.a. mehr wert ist als jeder, der dunkler ist. Ein dunkles Kind lernt das gleiche, nur in diesem Falle, dass es nichts wert ist, v.a. weniger als ein weißes. Nun kommen im Laufe der Kindheit und Jugend immer mehr Erfahrungen hinzu und das Kind lernt weitere Status-symbole kennen, teilweise über die Familie und Freunde, teilweise über Fremde und die Medien. Es lernt Men-schen kennen bzw. sieht diejenigen, die in der Gesellschaftspyramide schon weiter aufgestiegen sind bzw. ganz oben stehen. Das wäre ja nun alles schön und gut, möchte man meinen, es gibt immer andere, die mehr haben als man selbst. Doch nun kommt der Punkt, dass es diesen Menschen nicht genügt, einfach höher zu stehen, sondern sie wollen es allen anderen präsentieren, sozusagen unter die Nase reiben. Es läuft immer auf die un-terschwellige Aussage hinaus „Ich habe mehr als du, ergo bin ich über dir, ergo bin ich ein besserer Mensch“. Dabei bezieht sich das „haben“ auf den Besitz von Statussymbolen. Nun sind die meisten Menschen so gepolt, dass sie im Anbetracht eines solchen Verhaltens nicht gefühls- und regungslos bleiben. In ihnen regen sich nie-dere Gefühle wie beispielsweise Neid, verbunden mit dem daraus erwachsenen, alles umfassenden Verlangen, dem brennenden Wunsch, dies ebenfalls sein eigen nennen zu können. Nachdem dies das weiße oder Indiokind von den Menschen um es herum gelernt hat, beginnt nun sein eigener (Leidens-)Weg, die Suche nach dem hei-ligen Gral, das Befriedigen dieses Wunsches, der zum einzigen Lebensinhalt wird. Doch befindet sich das „Start-feld“ in diesem Spiel an unterschiedlichen Stellen für das weiße und das Indiokind. Auf Grund der Tatsache, dass ersteres bereits ein Symbol hat, startet es weiter oben als das zweite. Sie beide treibt nun Tag und Nacht der Gedanke an das Ziel um, stets überlegend, wie es denn zu erreichen sei. Und sollte eines einmal vom Wege abkommen und sagen, es strebe nicht mehr danach oder es habe erkannt, dass dieses Ziel das genaue Gegenteil der wahren Lebenserfüllung sei und es folglich die ganze Zeit in die falsche Richtung laufe, so gibt es dankens-werterweise genügend Familienmitglieder oder „Freunde“, die es wieder zurückführen wollen und es an das ursprüngliche Ansinnen erinnern. Doch wie sieht nun dieser Weg aus? Auch wenn er für jedes Individuum an einer anderen Stelle beginnt, sind die Symbole, die sie sammeln wollen, für alle die gleichen. Neben Farbe und Gesellschaftsschicht sind dies: -Geld -Besitz -Titel (eigene oder die anderer Familienmitglieder) -Partner (v.a. blonde, weiße Männer oder Frauen) -Aufenthaltsort (Europa, USA…) Für so manchen mag es auch noch andere Dinge geben, jedoch sind die genannten die wichtigsten. Das weiße bzw. Indiokind, das inzwischen erwachsen geworden ist, versucht nun, auf die Art und Weise, die am wenigsten kraftaufwändig ist, diese Trümpfe einzusammeln, oft auch mit unlauteren Mitteln wie Betrug und Lügen. Alle Register werden gezogen um dieses fressende, nagende Bedürfnis, das sich tief in der Seele eingenistet hat, zufrieden zu stellen. Nun sind manche Symbole für den einen leichter zu erreichen als für den anderen. So ge-hen die weißen, die ja bereits einen erheblichen Vorsprung haben, in die Öffentlichkeit ihres Landes und trach-ten dort nach Geld, Ruhm und Titeln. Aus diesem Grunde sind im Bereich der Politik und der Medien ausnahms-los weiße Lateinamerikaner zu finden. Erscheint ein Indio auf dieser Bühne, arbeitet er für die Weißen, bei-spielsweise als Chauffeur, Informant, Aktenträger oder dient dem Circus Maximus entsprechend zur Belusti-gung der Weißen. Denn welch einen Antrieb, welch eine Genugtuung verspüren diese beim Anblick eines ar-men, dummen oder in Tränen aufgelösten Indios. Ist es einem Weißen gelungen, in diesen Bereichen Fuß zu fassen, ist sein Weg im Grunde genommen schon am Ende. Die einzige Aufgabe, die ihm nun bleibt, ist es, seinen Status zu genießen, die Quelle nicht versiegen zu lassen, es geht nur noch um die Vermehrung dessen, was er „erreicht“ hat und darum, dies schlussendlich an die eigenen Kinder und Enkel weiterzugeben, um ihnen wiederum den Weg zum Ziel zu erleichtern. Dieser Mensch kann es sich sogar gönnen, über seinen Weg und seine Symbole zu schreiben, im Fernsehen davon zu erzählen und die Tugend zu präsentieren, die dem gierigen Be-streben grundsätzlich entgegensteht – die Bescheidenheit. Sie ist der Luxus desjenigen, der alles erreicht hat und der letzte Schritt, denn indem er sie nun verkündet (obwohl er sie in Wahrheit nie lebt!), wird er nun end-gültig in den Olymp der Gesellschaft erhoben. Welchen Weg geht nun ein Indio, alle diejenigen, die nicht lupenrein sind? Zunächst muss er versuchen, seinen Nachteil auszugleichen, den des ersten Symbols, der Hautfarbe. Doch wie gelingt ihm dies, wenn er nicht zufäl-lig Michael Jackson heißt und viel Geld besitzt? Als erstes versucht er, sich mit fremden Federn zu schmücken, d.h. er sucht einen Partner, dessen weißer Glanz ein wenig auf ihn abfärbt. Doch ist dies ein meist wenig aussichtsreiches Unterfangen, denn die Weißen kennen ihren Wert und wissen nur allzu gut, dass sie nicht nur geben, sondern auch nehmen (müssen) und das Dunkle auch in der entgegengesetzten Richtung auf ihnen seine Spuren hinterlässt und ihre makellose Fassade beschmutzt. So wenden sich die Indios einer anderen Möglich-keit zu, denn Not und Technik machen erfinderisch. Wenn die eigenen weißen Mitbürger sie nicht erhören, so doch vielleicht diejenigen aus anderen Gefilden dieser Erde. So kommt es, dass sie ihre Fühler nach Norden, Süden, Ost und West ausstrecken, auf der Suche nach einem geeigneten Opfer, das ihnen praktischerweise ne-ben der Tatsache, dass es weiß ist, auch das Statussymbol des besonderen Aufenthaltsortes zu geben ver-spricht. Und auf einmal eröffnen sich dem Suchenden ungeahnte Möglichkeiten, das Beste jedoch daran ist, dass er sie bekommt, ohne sich groß anstrengen zu müssen. So beginnen sie, über ihre Ländergrenzen hinaus zu blicken und die Lösung an anderen Orten zu suchen. Förderlich für ihr Vorhaben ist zudem, dass die Opfer komplett ahnungslos sind und sogar mit einem Lachen auf den Lippen in die Falle tappen. Denn sie sind es ge-wohnt, dass man ihnen die Wahrheit erzählt, und wenn nun ein Indio über seine tiefen Liebesgefühle für sein Opfer spricht, glaubt es ihm und nimmt bereitwillig das Verderben in seinem Schoße auf. Hat der Indio diesen ersten Schritt erfolgreich bewältigt, beginnt sich nun sein Gift nach und nach vom innersten Kern seines eige-nen Hauses aus zu verbreiten. Glücklich derjenige, der über Aufenthaltsort und weißen Partner hinaus noch Geld aus ihm heraussaugen kann und all dies, ohne sich jemals an einen Schreibtisch gesetzt zu haben, vor ein Buch…Doch manche Verbindungen sind nicht so stabil, wie zunächst angenommen, so trachtet der Eindringling danach, seine Symbole zu versichern. Die Lösung liegt in Fleisch und Blut, ein Kind als ewige Verbindung zur Quelle. Eine geschädigte Psyche und fatale Kindheit eines solchen kleinen Wesens ist dabei nur Nebenprodukt und für den Verderben bringenden Indio absolut unwichtig, denn es geht ausschließlich um ihn und das Errei-chen seines Zieles. Was er nicht ahnt, ist, dass über sein Blut, das in den Adern seines Sprösslings fließt, das Unheil weiterleben und um sich greifen wird. So hat nun der Weiße in seiner Heimat das Ziel erreicht und der Indio außerhalb. Doch darf man nicht vergessen, dass das Ziel nicht das Erreichen besagter Symbole ist, son-dern der Moment in dem der Lateinamerikaner (sei er nun hell- oder dunkelhäutig) einem anderen Menschen seiner Kultur gegenübersteht, um ihm alle seine Trophäen zu präsentieren (die bei den „neuen Nachbarn“ wir-kungslos sind) und sich dadurch zur gleichen Zeit über diesem zu positionieren. Denn alles hat nur dann einen Wert, wenn es einen Lateinamerikaner gibt, der einen dafür erhebt und von unten zu ihm aufschaut, den puren Neid im Blick und mit den Gedanken, die man beinahe hören kann: „Er hat es geschafft, er ist besser als ich, ich möchte das auch."

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